Warum leugnete Sokrates, ein Lehrer zu sein? Die Verortung von Sokrates unter den neuen Erziehern und der traditionellen Erziehung in Platons Apologie des Sokrates
Abstract
Platons Apologie des Sokrates enthält eine temperamentvolle Darstellung von Sokrates‘ Beziehung zur Stadt Athen und ihren Bürgern. Als Sokrates vor Gericht steht, weil er die Jugend verdorben hat, verteidigt er überraschenderweise nicht den Inhalt und die Methoden seiner Lehre. Stattdessen leugnet er einfach, dass er ein Lehrer ist. Viele Gelehrte haben behauptet, dass Platon mit der Leugnung der Lehrereigenschaft durch Sokrates in erster Linie daran interessiert ist, ihn von den Sophisten zu unterscheiden. In diesem Artikel argumentiere ich, dass Sokrates‘ Leugnung angesichts des historischen Bildungswandels zu Lebzeiten von Sokrates und Platon weitaus komplexer und weitreichender ist, als es die Unterscheidung Sokrates-gegen-Sophisten vermuten lässt. Sokrates legt nahe, dass die Athener nicht erkannt haben, dass es unter den neuen Erziehern des fünften Jahrhunderts in Athen verschiedene Typen gab: Redner, Sophisten, Naturphilosophen und vielleicht einen Philosophen wie Sokrates. Außerdem war die traditionelle Bildung, die die Athener durch die neuen Pädagogen bedroht sahen, selbst zersplittert. Anstatt eine klare Unterscheidung zwischen dem Philosophieren und dem Lehren, zwischen Sokrates und den Sophisten zu treffen, behandelt Platon die Frage des Lehrens in der Apologie aporektisch, d.h. nachdem er verschiedene Alternativen zum Verständnis des Wesens des Lehrens aufgezeigt hat, schließt er das Werk ab, ohne eine klare Lösung für diese Frage anzubieten.