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Zwischen Kardiologie und Urologie: Werner Forssmanns Doppelkarriere

Abstract

Werner Forssmann (1904-1979) erhielt für seine Selbstversuche zur Katheterisierung des Herzens den Nobelpreis und ging damit in die Annalen der Medizin ein. Doch schon lange vor dem Nobelpreis hatte er sich der Urologie zugewandt. Wer war diese Person, die sowohl mit der Kardiologie als auch mit der Urologie verbunden war? Genau dieser Frage geht der vorliegende Artikel mit Hilfe neuer und neu ausgewerteter Primärquellen nach. Bereits 1999 veröffentlichten Truss et al. im World Journal of Urology einen Artikel über die vielfältigen Facetten von Forssmanns Leben und Werk. Unser Artikel knüpft an den von Truss et al. an und erweitert den Wissensstand über Forssmann und sein Werk. Werner Forssmann als einer der beiden Urologen neben Charles B. Huggins, die jemals den Nobelpreis erhalten haben, verdient eine vollständige und umfassende Analyse seines Lebens und seines Lebenswerkes. Innerhalb der deutschen Urologie ist die Erinnerungskultur an Werner Forssmann ein wichtiger Bestandteil und mit jeder neu erschlossenen und interpretierten Quelle erfahren wir besser, wer dieser Urologe war und welche Rolle er in der wissenschaftlichen Gemeinschaft spielte.

© 2019 S. Karger AG, Basel

Eine kurze Reise durch Forssmanns Leben

Forssmann wurde 1904 in Berlin geboren, wo er auch Medizin studierte. Nach dem Abschluss seines Studiums 1928 praktizierte er am Auguste-Victoria-Krankenhaus in Eberswalde. Hier führte er seine Selbstversuche durch. Eine Dokumentation seiner Experimente mit dem Titel „Die Sondierung des rechten Herzens“ wurde 1929 in der „Klinischen Wochenzeitschrift“ veröffentlicht. Nach seinen Selbstversuchen arbeitete Forssmann einige Monate an der Charité in Berlin unter der Leitung von Ferdinand Sauerbruch (1875-1951), bevor er nach Eberswalde zurückkehrte. Es folgte ein weiteres kurzes Intermezzo an der Charité, bevor er 1933 seine Ausbildung zum Assistenzarzt in Mainz abschloss. Nach einigen negativen Erfahrungen beendete Forssmann seine chirurgische Laufbahn und wechselte in die Urologie. In diesem Bereich arbeitete er unter Karl Heusch (1894-1986) am Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin und anschließend als Oberarzt bei Albert Fromme (1881-1966) in einer chirurgischen Abteilung in Dresden. Ab 1937 arbeitete Forssmann mit Kurt Strauss (1901-1944) am Robert-Koch-Krankenhaus in Berlin, bevor er 1939 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Nach seiner Zeit als Sanitätsoffizier während des Zweiten Weltkriegs musste er einige Zeit in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager verbringen, bevor er mit seiner Familie in Wambach, einem Dorf im Schwarzwald, wieder zusammengeführt wurde. Nach der Entnazifizierung arbeitete Forssmann als Urologe an der Diakonieklinik in Bad Kreuznach (1950-1957). Nach der Verleihung des Nobelpreises 1956 wurde er Chefarzt einer chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses in Düsseldorf. Nach seiner Pensionierung lebte er bis zu seinem Tod durch einen Herzinfarkt 1979 im Schwarzwald.

Frühe Praxis

Forssmann schrieb seine Doktorarbeit während seines Praktischen Jahres (1929) am Krankenhaus Moabit in Berlin. Er untersuchte die Wirkung der Leberfütterung auf die Erythrozytenzahl und den Cholesterinspiegel im Serum gesunder Menschen. Das Thema hatte nichts mit seinem späteren Studium zu tun, aber er interessierte sich damals stark für die Innere Medizin und hätte sich auf diesem Gebiet spezialisiert, wenn die Möglichkeit dazu bestanden hätte. Bemerkenswert ist, dass die Dissertation aus Selbstversuchen bestand: Forssmann und andere Studenten mussten 1 l einer Flüssigkeit auf Leberbasis trinken, um die anschließenden Veränderungen ihrer Blutwerte zu untersuchen. Für seine ersten Selbstversuche erhielt Forssmann seinen Doktortitel. Sein zweiter Selbstversuch war offensichtlich nicht nur gefährlicher, sondern auch erfolgreicher – er erhielt 1956 den Nobelpreis für die Entwicklung eines Verfahrens, das die Herzkatheteruntersuchung ermöglichte.

Der Selbstversuch und die Reaktionen der zeitgenössischen wissenschaftlichen Gemeinschaft

Nachdem er erkannte, dass er keine Stelle in der Inneren Medizin finden würde, arbeitete Forssmann kurzzeitig in einer privaten Frauenklinik in Spandau. Dann begann er seine Ausbildung als Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung des Auguste-Viktoria-Krankenhauses in Eberswalde, die von dem Oberarzt Sanitätsrat Schneider geleitet wurde. In seiner Autobiographie erklärte Forssmann, dass die Atmosphäre in Eberswalde genau richtig war, „um gute Ideen reifen zu lassen“ (Abb. 1). Im Frühjahr 1929 führte Forssmann seinen Selbstversuch durch, indem er sich einen Harnröhrenkatheter in die rechte Cubitalvene bis zum rechten Vorhof einführte und damit sein Leben riskierte. Dabei wurde er von einer Krankenschwester unterstützt, die in sein Vorhaben, einen Selbstversuch durchzuführen, nicht eingeweiht war, und der Vorgang wurde durch Röntgenaufnahmen dokumentiert. Er war erfolgreich und führte den Katheter sicher in sein Herz ein.

Abb. 1.

Forssmann während seiner Zeit in Eberswalde (mit freundlicher Unterstützung von Prof. Dr. Wolf-Georg Forssmann, Privatarchiv der Familie Forssmann).

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Kurz nach seinem Selbstversuch schickte Forssmann seinen Artikel an die Zeitschrift „Klinische Wochenschrift“. In seiner Autobiographie beschreibt Forssmann die Warnung Schneiders: Dieser riet ihm, sich auf die therapeutischen Möglichkeiten seiner neuen Methode zu konzentrieren, denn es gebe ethische Aspekte, die von anderen Wissenschaftlern aufgeworfen werden könnten. Außerdem prophezeite er, dass die meisten Menschen versuchen würden, ihn zu „zerstückeln“, weil sie mit einem so neuen und außergewöhnlichen Verfahren nicht umgehen könnten. Außerdem riet Schneider ihm, Fragen zum Stoffwechsel und zu klinischen Aspekten nur am Rande anzusprechen, um zu verhindern, dass andere Wissenschaftler sich Ideen für ihre eigene Forschung herauspicken, die andere Wissenschaftler sich herauspicken würden. Nach der Veröffentlichung seines Artikels unternahm Forssmann einen weiteren Versuch, in das Gebiet der Inneren Medizin einzudringen. Obwohl er von Schneider unterstützt wurde, scheiterte er. Stattdessen wurde ihm eine Stelle in der chirurgischen Abteilung unter Ferdinand Sauerbruch angeboten, die er annahm. Im November 1929 berichtete auch die Boulevardzeitschrift „Nachtausgabe“ über Forssmanns Katheterisierung. In seiner Autobiographie schrieb Forssmann über die Zeit nach der Veröffentlichung des Artikels. Er gab an, dass sich sowohl die deutsche als auch die ausländische Presse mit ihm „auseinandergesetzt“ habe. Er berichtete auch, dass die „Berliner Illustrierte“ ihm 1.000 Reichsmark für den Abdruck seiner Röntgenbilder angeboten hatte, was er jedoch ablehnte. Während der Selbstversuch das Interesse der Medien zu wecken schien, nahm dieses bald wieder ab.

Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Artikels kam es zu zwei Zwischenfällen: Forssmann musste sich mit Prioritätsansprüchen von Unger, Bleichröder und Loeb auseinandersetzen und er musste mit der Entlassung aus seinem Amt durch Sauerbruch fertig werden. Das erste Problem löste er, indem er einen Anhang zu seinem Artikel veröffentlichte, in dem er darauf hinwies, dass Unger, Bleichröder und Loeb bereits 1912 unveröffentlichte Versuche zur Arteriensondierung mit Harnleiterkathetern durchgeführt hatten. Die zweite Konfrontation gipfelte in Sauerbruchs berühmter Aussage: „Mit solchen Experimenten kann man sich vielleicht in einem Zirkus habilitieren, aber nicht in einem anständigen deutschen Krankenhaus“. Forssmann kehrte daraufhin zu Schneider nach Eberswalde zurück. Während seiner Zeit an der Charité hatte Forssmann Willi Felix kennengelernt und behielt ihn als Freund und Förderer. Felix interessierte sich für Forssmanns Experimente und war überzeugt, dass ihm eine große Zukunft bevorstand.

Nur wenige Wissenschaftler nahmen Forssmanns Entdeckung zur Kenntnis oder integrierten sogar Teile seiner Technik in ihre eigenen Forschungsarbeiten. Einer von ihnen war Otto Klein, Assistenzprofessor an einem Prager Krankenhaus, der ein halbes Jahr nach Forssmanns Veröffentlichung in einer Publikation über die Bestimmung des kleinsten Volumens nach dem Fickschen Prinzip auf Forssmann und seine Katheterisierung Bezug nahm. In seiner Arbeit berichtet Klein von 18 Sonden, in 11 Fällen konnte er das Herz erreichen. Forssmann selbst verwies zudem auf einen Brief des berühmten Prager Chemikers Karl Thomas, der Forssmann mitteilte, dass das Verfahren in seinen Tierversuchen zum Glukosestoffwechsel erfolgreich gewesen sei. Insgesamt blieb die Resonanz in der wissenschaftlichen Gemeinschaft jedoch sehr begrenzt. Nach der Nobelpreisverleihung schrieb Thomas in den Mitteilungen der Max-Planck-Gesellschaft: „Damit ist für Deutschland und die theoretisch-medizinische Forschung ein Forschungscharakter verloren gegangen.“

Unmittelbar nach der Veröffentlichung seines Selbstversuchs war Forssmann optimistisch für weitere Forschungen auf diesem Gebiet (Abb. 2). Felix unterstützte Forssmanns Tierversuche, die zunächst an Kaninchen durchgeführt wurden. Alle Kaninchen starben jedoch an Herzstillstand, woraufhin Forssmann auf Hunde umstieg. Er führte Katheter in die Jugularvene von insgesamt 6 oder 7 Hunden ein und dokumentierte die Injektion des Kontrastmittels mit Röntgenstrahlen. Obwohl Forssmann eine wissenschaftliche Gesellschaft (Notgesellschaft für Wissenschaften) um Unterstützung gebeten hatte, erhielt er nie eine Antwort. Um die Unbedenklichkeit des Verfahrens für den Menschen zu beweisen, wiederholte er seine Herzkatheteruntersuchungen neunmal, zweimal mit dem Kontrastmittel, und wies so nach, dass die Injektion des Kontrastmittels vom menschlichen Herzen vertragen wird. Seine Versuchsergebnisse veröffentlichte er in der „Münchner Medizinischen Wochenschrift“. Um eine längere Wartezeit bis zur Veröffentlichung zu vermeiden, hielt Forssmann am 30. November 1930 auf einer Ärzteversammlung in Eberswalde einen Vortrag über seine Experimente. Mit Hilfe seines Doktorvaters Professor Georg Klemperer versuchte Forssmann erneut, eine Stelle in einer Abteilung für Innere Medizin zu bekommen, um seine Experimente auszuweiten. Erneut wurde er abgelehnt. Klemperer scheint die Bedeutung von Forssmanns Entdeckungen nicht verstanden zu haben. Klemperer veröffentlichte zu dieser Zeit Studien über die Speicherung des radioaktiven Thorotrast in Leber und Milz.

Abb. 2.

Fotografie von Werner Forssmann (mit freundlicher Unterstützung von Prof. Dr. Wolf-Georg Forssmann, Privatarchiv der Familie Forssmann).

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Der zweite Vortrag über Forssmanns Herzkatheteruntersuchungen an Hunden und seine Selbstversuche fand auf dem Deutschen Chirurgiekongress im April 1931 statt. Forssmanns Vortrag fand am Ende des Kongresses statt und die Zuhörer wirkten „erschöpft“ und gelangweilt. Später beschrieb Forssmann die Reaktion auf seine These als eine Mischung aus „angewidertem Gemurmel, Kratzen und sogar leichtem Gelächter“.

Laut Forssmanns Autobiographie sagte sein Onkel, der Arzt, zu ihm, er solle sich nicht über das Unverständnis der Öffentlichkeit ärgern. Eines Tages würde er den Nobelpreis für seine Entdeckung erhalten. Es scheint, dass nur wenige Menschen, darunter Willi Felix und Forssmanns Onkel, die Bedeutung seiner Herzkatheteruntersuchung in diesem frühen Stadium verstanden haben. Die Mehrheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft verunglimpfte oder ignorierte seine Arbeit.

Was geschah in den Jahren nach dem Selbstversuch in Bezug auf Publikationen und wissenschaftliche Orientierung?

Nach der Begegnung mit Sauerbruch auf einem Chirurgiekongress kehrte Forssmann an die Charité zurück und absolvierte anschließend seine chirurgische Ausbildung in Mainz, wo er seine spätere Frau Elsbeth kennenlernte. Es ist bemerkenswert, dass Forssmann in seiner Autobiografie keine weiteren wissenschaftlichen Experimente erwähnt. Nach Mainz wechselte Forssmann in die Urologie und arbeitete am Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin unter Karl Heusch. Im Jahr 1934 veröffentlichte er in „Der Chirurg“ einen Artikel über „Blinddarmentzündung und tiefe Harnleitersteine“, ein Thema, das weit entfernt war von den kardiologischen Selbstversuchen der fünf Jahre zuvor. Der Artikel handelte von der Verwechslungsgefahr zwischen einem Harnleiterstein und einer Blinddarmentzündung mit vielen unnötigen therapeutischen Folgemaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe. Der Artikel schlug gewissermaßen die Brücke zwischen Forssmanns chirurgischer Arbeit und seiner neuen Disziplin der Urologie. Im folgenden Jahr wurden 4 Artikel zu urologischen Themen veröffentlicht, 2 über Anästhesie in der Urologie und die anderen 2 über Therapiemöglichkeiten und Resektion der Prostata. Drei dieser Artikel wurden in der „Zeitschrift für Urologie“ veröffentlicht, die zu der Zeitschrift wurde, in der Forssmann die meisten seiner Artikel veröffentlichte. Zwei Jahre später schrieb er einen Artikel über „Klinik und Technik der Elektroresektion“, und weitere drei Jahre später veröffentlichte er in derselben Zeitschrift einen Artikel über die „Sectio alta lateralis“, eine chirurgische Technik zur Öffnung der Blase. 1939, kurz vor seiner Einberufung zum Militärdienst, schrieb Forssmann einen Artikel über die Prostata in einer Zeitschrift für medizinische Fortbildung.

Während des Krieges diente Forssmann als Sanitätsoffizier in Preußen, Norwegen und an der Ostfront und verbrachte einige Zeit in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager, nachdem er 1945 von amerikanischen Truppen gefangen genommen wurde. Nach der Wiedervereinigung mit seiner Familie im Schwarzwald wurde er entnazifiziert und erhielt 3 Jahre lang Berufsverbot. In dieser Zeit half Forssmann seiner Frau Elsbeth, die als praktische Ärztin in einem Dorf im Schwarzwald arbeitete. In seiner Autobiographie, in der er die Tätigkeitsfelder der beiden beschreibt, kommt Forssmann beiläufig auf Brustentzündungen in der Stillzeit zu sprechen. Die operative Behandlung ebendieser Krankheit war Gegenstand seiner ersten und einzigen Publikation auf dem Gebiet der Gynäkologie nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Ende seines Berufsverbots arbeitete Forssmann als Urologe am Diakonie-Krankenhaus in Bad Kreuznach (1950-1957). 1951 schrieb er 5 Artikel für die „Zeitschrift für Urologie“, vor allem zu Themen rund um den Harnleiter, 4 davon waren Fallberichte. 1952 kommentierte Forssmann in einem Tagungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Urologie die Zystektomie. In diesem Kommentar plädierte er für eine eingeschränkte Durchführung von Zystektomien bei Papillomatose. Ein Jahr später ging es in seinem Beitrag auf der gleichen Veranstaltung um die beste verfügbare Technik für transurethrale Operationen. Nach dem Zweiten Weltkrieg taucht der Name Forssmann nur noch im Zusammenhang mit urologischen Themen auf (Tabelle 1).

Tabelle 1.

Veröffentlichungen von Forssmann auf urologischem Gebiet

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Die Jahre nach 1950: Erinnerungen an Werner Forssmann

Im Jahr 1951 beschäftigte sich Forssmann jedoch wieder mit der Kardiologie. Zu diesem Zeitpunkt wurde langsam klar, wohin seine Selbstversuche geführt hatten. John McMichael, ein britischer Kardiologe, lud Forssmann nach London ein, um an einem Film über die Herzkatheterisierung mitzuwirken. Unmittelbar nach seiner Rückkehr kam die nächste Einladung, diesmal zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung in Nauheim, und Forssmann hielt einen Vortrag über „21 Jahre Herzkatheterisierung – Rückblick und Ausblick“.“ Ab Anfang der 1950er Jahre engagierte sich Forssmann zunehmend in der wissenschaftlichen Gemeinschaft – diesmal als willkommenes Mitglied und nicht mehr als Spottfigur. In seiner Autobiographie beschrieb Forssmann, wie er von einem Jenaer Chirurgen, Professor Nikolaus Guleke, erfuhr, dass er für den Nobelpreis nominiert worden war. Neuere historische Forschungen haben den Weg Forssmanns zum Nobelpreis rekonstruiert. Zwischen 1952 und 1956 wurde Forssmann von 7 Wissenschaftlern (u.a. John McMichael) nominiert, so dass sein Name in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zunehmend an Bedeutung gewann. Seine neu gewonnene Bedeutung spiegelte sich in einem Vortrag wider, den er auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (1954) über die historische Entwicklung und Methodik der Herzkatheteruntersuchung und deren Anwendungen hielt. Im gleichen Jahr wurde ihm die Leibniz-Medaille der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin verliehen. Seine Karriere – obwohl von verschiedenen Richtungen geprägt und meist ohne rigorose Forschung – wurde 1956 neben André Frédéric Cournand und Dickinson Woodruff Richards mit dem Nobelpreis gekrönt (Abb. 3). Der Nobelpreis brachte einen weiteren Titel mit sich: Forssmann wurde Honorarprofessor für Chirurgie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Abb. 3.

Zeitungsausschnitt aus der New York Herald Tribune vom 19. Oktober 1956 (mit freundlicher Unterstützung von Prof. Dr. Wolf-Georg Forssmann, Privatarchiv der Familie Forssmann).

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Nach der Verleihung des Nobelpreises veröffentlichte Forssmann in einer chirurgischen Fachzeitschrift einen Artikel über die chirurgische Behandlung von Harnleiterverengungen. 1957 schrieb er einen Artikel über William Harvey, einen britischen Arzt und Sezierer, der sich mit anatomischen Studien des Blutkreislaufs befasste und in der „Medizinischen Wochenschrift“ veröffentlicht wurde. Bei den Artikeln, die Forssmann nach und vor dem Nobelpreis schrieb, gab es keine relevante Diskontinuität oder Zäsur. Doch 1958 wechselte er erneut in die Chirurgie und trat die Nachfolge von Alfred Beck als Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses in Düsseldorf an. Kurz nach seinem Amtsantritt geriet er mit dem Kuratorium in Konflikt, was zu einer öffentlichen, medienwirksamen Auseinandersetzung führte. In den folgenden Jahren war Forssmann mit einer Vielzahl von neuen und anspruchsvollen Aufgaben beschäftigt, so dass er vier Jahre lang nicht als Autor von Zeitschriftenartikeln in Erscheinung trat. Im Jahr 1962 und in den 2 darauffolgenden Jahren wurden in der Chirurgie 3 Artikel über die Behandlung von Knochenbrüchen veröffentlicht. In den Jahren 1968 und 1969 veröffentlichte Forssmann als Chefarzt der Chirurgie weitere 3 Artikel zu chirurgischen Themen, bevor er 1970 in den Ruhestand ging.

In den 60er Jahren erlangte Forssmann noch mehr internationale Anerkennung, indem er eine Ehrenprofessur in Cordoba (Spanien) erhielt, zum Mitglied des American College of Chest Physicians ernannt wurde und Ehrenmitglied der Schwedischen Gesellschaft für Kardiologie wurde. Die Anerkennung für seinen Selbstversuch kam recht spät – aber sie kam.

Nach dem Erhalt des Nobelpreises äußerte sich Forssmann wiederholt zu verschiedenen ethischen Fragen. Er sprach sich gegen die Todesstrafe aus, wobei sein stärkstes Argument darin bestand, dass ein einziger Fehler den unumkehrbaren Tod eines Unschuldigen zur Folge haben kann. Zur Euthanasie äußerte er sich in Interviews, Artikeln und in einer Rede auf der 16. Jahrestagung der Nobelpreisträger am Bodensee 1966. Laut Forssmann ist es die Aufgabe eines Arztes, menschliches Leben zu heilen und zu bewahren, nicht aber, es zu vernichten. Außerdem sprach er sich gegen (übereilte) Organtransplantationen aus, insbesondere als Christiaan Barnard mit einer Herztransplantation für Schlagzeilen sorgte. Forssmann lehnte die Verpflanzung einzelner Organe strikt ab und warnte vor der Manipulation und dem Ausschlachten von Leichen.

Abschluss

Nach seinem Tod hat Werner Forssmann das Interesse vieler Forscher geweckt, und es wurden zahlreiche Artikel in verschiedenen internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht. Die meisten Artikel befassen sich mit dem heldenhaften Selbstversuch von 1929, aber es gibt auch mehrere Artikel, vor allem in jüngerer Zeit, die sich mit anderen Aspekten seines Lebens befassen, zum Beispiel mit der Verleihung des Nobelpreises, seiner politischen Haltung vor und nach 1945 und seiner Stellung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Zum letztgenannten Aspekt lässt sich sagen, dass Forssmann nur wenige Arbeiten zu kardiologischen Themen veröffentlichte. Zwischen der Veröffentlichung seines – für die damalige Zeit erstaunlichen – Selbstversuchs und der Veröffentlichung weiterer Artikel und Stellungnahmen, die auf seinem Selbstversuch und dem Thema Herzkatheter basieren, verging ein Vierteljahrhundert. Die meisten Artikel, die er zwischen 1934 und 1956 verfasste, wurden nämlich auf dem Gebiet der Urologie veröffentlicht. Nachdem er Oberarzt einer chirurgischen Abteilung geworden war, kamen noch einige Artikel zu chirurgischen Themen in Forssmanns Publikationsliste hinzu. So ist es nicht verwunderlich, dass er oft als einer der 2 Urologen-Nobelpreisträger (neben Charles B. Huggins) angesehen wird. Aber keiner seiner Artikel zu urologischen Themen kam an seine Leistung als 25-jähriger Assistenzarzt heran. Karl Thomas‘ Gedankengang führt uns zu der Frage, was wohl geschehen wäre, wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft Forssmann und seine Forschung nach seinem Selbstversuch von 1929 unterstützt hätte. Es ist eine jener Fragen, die immer unbeantwortet bleiben werden.

Disclosure Statement

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte haben. Dieser Artikel enthält keine Studien mit menschlichen Teilnehmern oder Tieren, die von einem der Autoren durchgeführt wurden. Daher musste keine informierte Zustimmung eingeholt werden.

Beitrag der Autoren

L.-M.P.: Projektentwicklung, Datenerhebung, Datenanalyse, Verfassen des Manuskripts. D.G.: Projektentwicklung, Manuskriptbearbeitung.

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Autorkontakte

Lisa-Maria Packy

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin

Universitätsklinikum der RWTH Aachen

Wendlingweg 2, 52074 Aachen (Germany)

E-Mail [email protected]

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Abstract of Review

Received: February 19, 2019
Accepted: February 19, 2019
Published online: March 27, 2019
Issue release date: July 2019

Number of Print Pages: 7
Anzahl der Abbildungen: 3
Anzahl der Tabellen: 1

ISSN: 0042-1138 (Print)
eISSN: 1423-0399 (Online)

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