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Woden und Oðinn: Mythic Figures of the North

König Artus ist nicht die einzige Sagengestalt, die im mittelalterlichen England zur Legitimation von Herrschaft herangezogen wurde. Lange vor Geoffrey von Monmouths Historia Regum Britannium aus dem 12. Jahrhundert war der einflussreichste mythische Ahnherr des englischen Volkes Woden.

Woden leitet sich vermutlich von einem gemeinsamen Gott der vorchristlichen germanischen Völker ab und wird oft mit dem heidnischen Gott Oðinn identifiziert, der im frühmittelalterlichen Skandinavien verehrt und im Altnordischen Alföðr („Allvater“) genannt wurde. Diese legendäre Figur wurde später als ein Ahnenhäuptling verstanden, von dem die angelsächsischen Könige ihre Abstammung und damit die Befugnis zur Herrschaft in England beanspruchten.

Abbildung aus dem 18. Jahrhundert aus isländischem MS, Reykjavík, Stofnun Árna Magnússonar, SÁM 66 © All Rights Reserved.

Woden bleibt in den erhaltenen schriftlichen Aufzeichnungen aus dem frühmittelalterlichen England eine obskure und rätselhafte Figur. Wie Oðinn wird er in den überlieferten Erzählungen oft als ein vergöttlichter Häuptling verstanden, der zur Gottheit des nordischen Pantheons wird. Es lässt sich nicht genau sagen, inwieweit der angelsächsische Häuptling Woden und der nordische Gott Oðinn zu der Zeit, als die Angeln, Sachsen und Jüten die einst römische Insel Britannia eroberten, miteinander verwandt waren. Gelehrte haben die Rolle und Bedeutung dieser jeweiligen heidnischen Gottheiten und ihre mögliche Beziehung zueinander erörtert.

Woden, der aus Bedes Historia Ecclesiastica und einem medizinischen Zauberspruch mit odinischen Parallelen aus dem so genannten Lacnunga (gefunden im British Library Manuscript Harley 585) stammt, scheint ein Kriegergott zu sein; die spärlichen Belege untergraben jedoch jedes klare Porträt dieser mythischen Figur. Ælfric, Abt von Eynsham (dessen Predigten in vier erhaltenen Manuskripten überliefert sind), verfasste im 10. Jahrhundert eine Predigt mit dem Titel De falsis Diis „Über falsche Götter“, die eine recht ausführliche Erörterung der Götter enthält und sie mit Figuren des römischen Pantheons gleichsetzt, wobei Woden mit Merkur verglichen wird. Woden kehrt auf seltsame Weise nach Island zurück, und zwar durch Ælfrics Predigt, die im Hauksbók aus dem 14. Jahrhundert aufgezeichnet ist (Isländische Nationalbibliothek, AM544 4to). Wulfstan II, Erzbischof von York, erweitert später Ælfrics Werk in seiner gleichnamigen Predigt aus dem 11. Jahrhundert (gefunden in der Bodleian Library, MS Hatton 113).

Abbildung von Oðinn auf Sleipnir aus dem 18. Aus isländischem MS, Reykjavík, Stofnun Árna Magnússonar, SÁM 66, f.80v © Alle Rechte vorbehalten.

Regelmäßiger bezeugt und klarer definiert ist der nordische Gott Oðinn, der mit der Runenweisheit in Verbindung gebracht wird und in Walhalla (der Halle der Erschlagenen) regiert. Der einäugige Oðinn reitet auf seinem magischen, achtbeinigen Pferd namens Sleipnir, und nach der überlieferten isländischen Literatur ab dem 12. Jahrhundert wird er während der letzten apokalyptischen Schlacht, die als Ragnarǫk bekannt ist, gegen den Wolf Fenrir, das Kind von Loki, kämpfen.

Illustration des Wolfes Fenrir, der dem Gott Týr die rechte Hand abbeißt, aus einem isländischen Manuskript des 18. Jahrhunderts, SÁM 66, f.78v © Alle Rechte vorbehalten.

Oðinn taucht in der gesamten nordischen Literatur in Texten wie der Snorra Edda oder Prose Edda auf, die von dem berühmten isländischen Autor Snorri Sturluson im frühen 13, die in sieben erhaltenen isländischen Handschriften überlebt hat, von denen einige erst aus dem 18. Jahrhundert stammen, wie z. B. SÁM 66 (aufbewahrt in Stofnun Árna Magnússonar), ÍB 299 4to (aufbewahrt in der isländischen Nationalbibliothek) und NKS 1867 4to (aufbewahrt in der dänischen Königlichen Bibliothek). Die anonyme Sammlung so genannter eddischer Gedichte, die oft als Ältere Edda oder Poetische Edda bezeichnet wird (und sich in Reykjavík, Stofnun Árna Magnússonar, GKS 2365 4to – auch „Codex Regius“ genannt – befindet), ist ein weiterer Reichtum an odinischem Wissen. Diese Sammlung beginnt mit dem berühmten altnordischen Gedicht Vǫluspá, in dem eine prophetische vǫlva („Seherin“) dem Oðinn die Erschaffung und das Ende der Welt beschreibt.

Bild aus der Snorra Edda, das Oðinn, Heimdallr, Sleipnir und andere Figuren der nordischen Mythologie zeigt. Aus dem isländischen Manuskript ÍB 299 4to aus dem späten 17. Jahrhundert © Alle Rechte vorbehalten.

Im nachkonvertierten England wurde Woden jedoch gewöhnlich nicht als Vater der Götter angesehen. Vielmehr wurde er als der Ahnenpatriarch englischer Königsgeschlechter angesehen. Schauen Sie nächste Woche wieder vorbei, um mehr über diese rätselhafte Figur zu erfahren!

Richard Fahey
PhD Candidate
Department of English
University of Notre Dame

Spezieller Dank geht an Tim Machan für seine Beiträge zu diesem Beitrag.

Weitere Lektüre:

Abram, Christopher. Myths of the Pagan North. Continuum, 2011.

Davis, Craig R. „Cultural assimilation in the Anglo-Saxon royal genealogies.“ Anglo-Saxon England 21 (1992): 23-36.

Hill, Thomas. D. „Woden and the pattern of nine: numerical symbolism in some old English royal genealogies.“ Old English Newsletter 15.2 (1982): 41-42.

John, Eric. „The Point of Woden.“ In Anglo-Saxon Studies in Archaeology and History 5. Oxford University Committee for archaeology, 1992.

Meaney, A. L. „Woden in England: a reconsideration of the evidence.“ Folklore 77.2 (1966): 105-115.

Meehan, Bernard. A reconsideration of the historical works associated with Symeon of Durham: manuscripts, texts and influences. University of Edinburgh, 1979. Dissertation.

Moisl, Hermann. „Angelsächsische Königsgenealogien und germanische mündliche Überlieferung“. Journal of Medieval History 7.3 (1981): 215-248.

North, Richard. Heathen gods in Old English Literature. Cambridge: Cambridge University Press, 1997.

Rowsell, Thomas. Woden and his Roles in Anglo-Saxon Royal Genealogy. Medievalists.net, 2012.

Primäre Quellen, die Woden/Oðinn betreffen:

Ælfric, Abbot of Eynsham. Homilies of Aelfric: Volume 2 . John C. Pope (ed). Oxford University Press, 1968.

Bede. Ecclesiastical History of the English People. Colgrave, Bertram, Mynors, R.A.B. (eds). Oxford University Press, 1969.

Grattan, J. H. G (trans). Angelsächsische Magie und Medizin: illustriert speziell aus dem halbheidnischen Text „Lacnunga“. Oxford University Press, 1952.

Orchard, Andy. The Elder Edda. Penguin Classics, 2011.

Sturluson, Snorri. Edda. Anthony Faulkes (trans and ed). David Campbell Publishers, 1987.

Wulfstan. Homilies of Wulfstan. Dorothy Bethurum (ed). Oxford University Press, 1957.