Wie die Großvateruhr zu ihrem Namen kam
„Großvateruhr“ ist ein passender Name für ein Objekt, das oft als Familienerbstück behandelt wird. Doch auch wenn der Begriff für Erbe und Tradition steht, ist er doch recht jung. Tatsächlich ist er mehr als zwei Jahrhunderte jünger als der Zeitmesser, den er bezeichnet.
Als diese vertikal angeordneten Uhren vor mehr als 350 Jahren erfunden wurden, nannte man sie noch „Standuhren“, eine Bezeichnung, die in manchen Kreisen immer noch verwendet wird (auch wenn sie weniger eingängig ist). Wie kam es also zu der Bezeichnung Standuhr? Bevor wir uns dieser Frage widmen, sollten wir den historischen Kontext betrachten.
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Die Uhrmacherei als Disziplin erlebte im 17. Jahrhundert einen großen Aufschwung. Auf der Grundlage der Forschungen von Galileo Galilei baute der holländische Astronom Christiaan Huygens um das Jahr 1657 die erste pendelgetriebene Uhr. Sie war mit Abstand der genaueste Zeitmesser, den die Welt je gesehen hatte – und sie veränderte über Nacht eine ganze Industrie.
Sogenannte Pendeluhren eroberten schnell Westeuropa. Die Mechaniker dort konnten nicht anders, als an Huygens‘ Erfindung zu basteln. So wurde die Standuhr geboren. Sie wurde in London entwickelt und kam um 1660 auf den Markt. Die meisten frühen Modelle waren etwa einen Meter hoch. Ihre Mittelteile bestanden aus Holzgehäusen, in denen die immer wichtiger werdenden Pendel untergebracht waren. Im Laufe der Zeit begannen die Uhrmacher, längere Pendel einzubauen, was wiederum längere Gehäuse erforderte, daher der Ausdruck „Standuhr“
Heute würden wir diesen banalen Begriff vielleicht immer noch verwenden, wenn es nicht einen Songschreiber gäbe, der den Spitznamen „Amerikas Kriegsdichter“
Der am 1. Oktober 1832 in Middletown, Connecticut, geborene Henry Clay Work war ein autodidaktischer Musiker und Lyriker. Er machte sich erstmals während des amerikanischen Bürgerkriegs einen Namen. Während des gesamten Konflikts setzte sich Work in seinen Schriften für die Sache des Nordens ein. „Kingdom Coming“, Works Pro-Union-Ballade von 1862, brachte ihm einen Vertrag mit dem Musikverlag Root & Cady ein. In den nächsten neun Jahren produzierte er zahlreiche Hits für das Unternehmen.
Leider waren die Nachkriegsjahre nicht freundlich zu Work. Zwei seiner Kinder starben in den 1870er Jahren, und ein schlechtes Geschäft brachte ihn in finanzielle Verlegenheit. Trotzdem schrieb er weiter.
Eines seiner späteren Werke trug den Titel „Grandfather’s Clock“. Nach Angaben seines Neffen Bertram verbrachte Henry Clay Work vier Jahre mit dem Schreiben dieses Stücks, das Root & Cady 1876 veröffentlichte. Das Liedchen erzählt die Geschichte eines Großvaters, der am Tag seiner Geburt eine nagelneue Standuhr erhält. Ein ganzes Leben später gehen der Mann und sein Zeitmesser gemeinsam ins Jenseits. „Die Uhr meines Großvaters war zu groß für das Regal, also stand sie neunzig Jahre lang auf dem Boden“, heißt es in der ersten Strophe. „Sie wurde am Morgen seines Geburtstages gekauft und war immer sein Schatz und sein Stolz. Aber als der alte Mann starb, blieb sie stehen, um nie wieder zu gehen.“
Work’s letzter Mega-Hit, „Grandfather’s Clock“, entwickelte sich zu einem sofortigen Klassiker – und einem dauerhaften. Mit mehr als 800.000 verkauften Exemplaren machte der Song seinen Autor um 4.000 Dollar reicher. In späteren Jahrzehnten wurde er von Johnny Cash gecovert, in der Sendung „A Prairie Home Companion“ parodiert und sogar für den Soundtrack des Indie-Videospiels „Five Nights at Freddy’s 2“ neu abgemischt. Darüber hinaus schreibt das Oxford English Dictionary diesem Lied die Popularisierung des Begriffs „Großvateruhr“ zu.
Work’s Song inspirierte also einen neuen Spitznamen für einen jahrhundertealten Zeitmesser. Aber was hat das Lied selbst inspiriert? Dazu gibt es zwei Theorien. Das George Hotel in Piercebridge in North Yorkshire, England, behauptet, dass „Grandfather’s Clock“ direkt in seiner Lobby entstanden ist. Work übernachtete dort einmal, als er 1874 durch Großbritannien reiste. Nachdem er eingecheckt hatte, soll er in der Lobby des Hotels eine schöne Standuhr entdeckt haben. Die Zeiger schienen zu klemmen und waren bei 11:05 Uhr stehen geblieben. Als er einen Angestellten nach der kaputten Uhr fragte, erfuhr er, dass sie den verstorbenen Brüdern Jenkins gehörte, denen das Hotel einst gehörte. Ihre Uhr, so erfuhr Work, wurde an dem Tag gekauft, an dem das ältere Geschwisterkind geboren wurde. Angeblich war sie der zuverlässigste Zeitmesser, den man sich wünschen konnte. Aber als ein Bruder starb, ging die Uhr langsamer. Als Jahre später auch das andere Geschwisterkind starb, ertönte das letzte „Ticken“. Der Legende nach hat sie seitdem geschwiegen.
Allerdings handelt es sich bei dieser Geschichte wahrscheinlich nur um ein Stück lokaler Folklore. Das George Hotel in Piercebridge beruft sich jedoch auf sie als Inspiration für „Grandfather’s Clock“. Auf der Website des Hotels ist sogar eine ganze Seite dieser alten Uhr gewidmet, die immer noch in der Lobby ausgestellt ist.
Eine Familie aus Massachusetts hat jedoch eine andere Erklärung. Die Verwandten von Sarah Parker, der Ehefrau von Work, glauben, dass sie die Uhr besitzen, aus der dieses berühmte Lied stammt. Den Parkers zufolge orientierte sich der Songwriter an einer alten Standuhr, die früher Sarahs Großvater gehörte. All diese Jahre später gehört diese hölzerne Uhr immer noch den Parkers – und nein, sie funktioniert auch nicht.
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